Ja, genau da, im Kindergarten, habe ich gearbeitet, als ich gleich nach der Uni nach Tomsk umgezogen bin. Das war meine erste Arbeitsstelle, wo ich offiziell eingestellt war. Bevor habe ich als Studentin hier und da mal auch gejobbt, aber schwarz natürlich. Das ist übrigens bei ziemlich vielen russischen Firmen „natürlich“, ihre Mitarbeiter nicht offiziell einzustellen. So spart man an Steurer und hat weniger Hacken, die Person „gehen zu lassen“. Im Russischen gibt es sogar eine spezielle Wortverbindung – «его ушли» [er wurde gegangen], was eine Situation bezeichnet, wenn die Person eben nicht freiwillig kündigt.
Tja, hier aber wollte ich von was anderem berichten.
Das war kein üblicher Kindergarten, sondern ein deutsches Progymnasium, wo Kinder schon ab 3 Jahre Deutsch gelernt haben. Dieser Kindergarten ist beliebt in Tomsk, was vielleicht daran liegt, dass es hier in der Gegend eine ziemlich große Gemeinde von Russlanddeutschen wohnt.
Doch zurück zur Sache.
Die Arbeit hat mir sehr gefallen. Zumindest die ersten zwei Monate. Vielleicht hätte es mir auch weiter gefallen, wenn ich dann nach zwei Monaten nicht gekündigt hätte. Ich war einfach zu erschöpft, um da weiter zu bleiben. Obwohl die Arbeit Spaß gemacht hat und Kinder so süüüüüß waren, waren sie einfach zu viele für mich alleine. Ja, in russischen Kindergärten arbeitet man als alleinstehende Erzieherin. Unterstütz wird nur von einer Nanny, die putzt und das Essen bringt. Mann, war das anstrengend! Besonders, wenn es etwas kälter geworden ist. Stellt euch vor, ihr sollt 20 dreijährige Kinder für den sibirischen Winter vorbereiten – Strumpfhose, Hose, Unterhemd, Hemd, Pullover, Jacke, Mütze, Schal, Socken und noch mal Socken, Schuhe (Fluch über die Schnürsenkel!) und natürlich die heißgehassten Handschuhe mit 10 Fingerchen pro Kind, Fingerchen, die ganz und gar nicht in die für sie abgesehenen Taschen der Handschuhe reinstecken wollen. Das macht dann 200 Fingerchen, die jede hochtolerante und nette Erzieherin zur Weißglut treiben können. Und dann beginnt der wahre Teufelskreis. Jedes dreijähriges Kind braucht Hilfe beim Anziehen, das ist ja logisch. Wenn du gleich 20 Stück von den kleinen an der Reihe hast, sieht es ungefähr so aus: sobald du mit ersten zwei-drei Kindern fertig bist, beginnt das allererste „fertige“ Kind zu schwitzen und zu jammern. Es nervt und du versuchst die Sache so schnell wie möglich zu meistern, wovon es nur schlimmer wird. Irgendwann in einer halben Ewigkeit bist du dann doch auch mit dem 20. Kind fertig. Dich freuen aber darfst du nur solange, bist du das erste Kind entdeckst, das schon wieder ausgezogen ist, weil es ihm „zu heiß“ sei. Und das Karussell beginnt von vorne…
Aber ich wollte eigentlich was anderes zum Punkt bringen. Was war das denn?
Ach ja. Deutsch den dreijährigen Kindern beibringen. Das war voll lustig! Ich habe mich echt wie ne Mary Poppins gefühlt. Ab und zu mal Deutsch mit ihnen gesprochen (wie „Tschüss“, „Hallo“, „Hände waschen“, „Deine Starrheit bereitet mir emotionale Frustration, iss doch endlich!“ etc.), Lieder gesungen, Spiele gespielt, Cartoons geschaut. Und die machten sogar Vorschritte. Sie nannten mich Lucy und waren happy mit mir eine Geheimsprache zu sprechen. Bis eines Tages meine Chefin mich beim Abschied von Kindern ertappt hat:
Ich: Tschüss, Mascha!
Mascha: Tschüss, Lucy!
Dieser kurze Dialog auf Deutsch (was aber eine echte Kommunikation war) wurde zum Grund eines Aufklärungsgespräches zwischen mir und meiner Chefin. Sie redete etwas von einem „Programm für deutsches Vokabular“, „Hierarchie“ und „Autorität“ und bestand darauf, Kindern statt „Tschüss“ schönes „A-U-F W-I-E-D-E-R-S-E-H-E-N“ beizubringen. Doch damit nicht genug. Ab nun dürfen die Kinder mich nicht mehr nach dem kurzen Vornamen Lucy nennen, sondern nur nach dem vollen Vornamen (davon hab ich früher hier schon geschrieben: http://lucy-russin.ru/uber-mich-und-mein-blog/) UND Vatersnamen.
So…endlich bin ich beim Thema. Ich muss mal lernen, die Einleitungen etwas kürzer zu formulieren, findet ihr nicht?
Alle russischen Bürger haben nicht nur einen Vornamen und Nachnamen, sondern auch einen Vatersnamen, der nach dem Vornamen benutzt wird. Also mein voller Name, wie es in meinem Pass steht, lautet nicht Lucy Kovalchuk und sogar nicht Liudmila Kovalchuk, sondern Liudmila Wladimirowna Kovalchuk. Weil mein Vater ja Wladimir heißt, lautet mein Vatersname “Wladimirowna” (ich gehöre quasi meinem Vater Wladimir: Wladimir + Nachsilbe für Frau -owna). Wenn ich ein Mann wäre, würde ich Wladimirowitsch heißen (Nachsilbe -owitsch) und nie in einem Kindergarten arbeiten (der Job ist in Russland eben sehr schlecht bezahlt und als rein Frauenarbeit angesehen).
Es ist historisch bedingt, dass das Benutzen vom Vornamen + Vatersnamen offizieller und damit auch höflicher ist. Es wird im Russischen etwa wie die deutschen Anrede „Frau“ oder „Herr“ benutzt. Mit so einem Benennen wollte meine Chefin eine Distanz zwischen mir und Kindern schaffen, damit ich mehr Respekt von ihnen bekomm. In der Wirklichkeit aber sah das eher wie eine Qual für die kleinen. Für das dreijährige Sprachbildungsapparat ist es kaum möglich „L-I-U-D-M-I-LA W-L-A-D-I-M-I-R-O-W-N-A“ richtig auszusprechen und seinen Besitzer dabei nicht in eine Depression zu treiben.
Hier muss ich gleich daran denken, was passiert, wenn mein 12-jähriger Neffe Wsewolod irgendwann mal eine Tochter kriegt, die, nehmen wir mal an, Darja heißen wird, und auch in einem Kindergarten arbeiten wird? Werden denn da die Kinder dazu gezwungen, sie Darja Wsewolodowna zu nennen? Versucht mal, ich wette, ein paar Minuten habt ihr dazu gebraucht, um den Vatersnamen richtig auszusprechen.
Interessant ist es aber, dass wenn der Vatersname ohne den Vornamen benutzt wird, wird das zu einer sehr informellen, beinah intimen Anrede, die jedoch eher unter der älteren Generation verbreitet ist. So z.B. nennen einander enge Freundinnen oder alte Kolleginnen einfach „Wladimirowna“, „Iwanowna“ etc.:
Petrowna (Tocher von Peter), beeile dich, sonst werd ich’s dir zeigen!
Wenn der Vatersname aber nicht bekannt ist, aber man möchte unbedingt die Vertraulichkeit auf diese Weise betonen, benutzt man Scherzvatername „Bat’kowna“ (buchstäblich übersetzt – Vaterowna, also Tochter vom Vater), der ja zu jeder Person passt.
Zum Schluss möchte ich eine lustige Geschichte von meiner deutschen Kollegin erzählen, die eine lange Zeit in Tomsk lebte und so perfekt Russisch beherrschte, dass ich es nicht glauben konnte, dass sie überhaupt ne Deutsche ist. Eines Tages musste sie ins Krankenhaus, wo sie beim Formularausfüllen nach ihrem Vatersnamen gefragt wurde. Als die Kollegin perfekt und fehlerlos ausgesprochen geantwortet hatte, sie habe ja keinen, wurde sie misstrauisch angesehen und doch dazu gefordert, einen zu nennen. Als jede Erklärung und sogar der Ausweis sich als lahm gezeigt hatten, gab sie endlich auf und meinte „Alexandrowna“. Damit war die Krankenschwester zufrieden. Der Witz ist auch, dass ihr Vater gar kein Alexander ist, sondern ein Reiner oder Walter oder so was. Der Name gefalle ihr bloß, deswegen fiel die Wahl auf ihn.
Für was für einen Vatersnamen hättet ihr denn euch entschieden? Hansowitsch? Johannowna? Oder gar Albrechtowna? =)
M | D | M | D | F | S | S |
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Wow, du bist noch da! 🙂
Karl-Heizowitsch oder Bernhardtowitsch wäre lustig 😀
Mein großer Comeback XD
Aber mal im Ernst. Ich habe ehrlich vor, den Blog auch weiter zu führen. Ich finde bloß nicht immer Zeit dafür, aber Ideen hab ich schon viel 😉
Bernhardtowitsch find ich voll coooool =)